Vage – Das Bundestagswahlprogramm der SPD

Wir sind bei den Regierungsparteien angekommen. Dieses Mal betrachten wir die Junior-Partnerin der großen Koalition und eine der ältesten Parteien des Landes, deren Vorgeschichte bis in das 19. Jahrhundert zurück reicht. Die SPD gilt als eine von zwei großen Volksparteien Deutschlands und war seit 1949 immer im Bundestag und auch immer wieder an der Regierung. Dabei gab es wechselnde Koalitionen mit der FDP, den Grünen und auch, wie jetzt gerade, Große Koalitionen mit der CDU. Die SPD errang bei der letzten Bundestagswahl 2013 25,7 Prozent der Stimmen und sitzt aktuell mit 193 Abgeordneten im Parlament. Es sind 85 Frauen dabei, was einen Anteil von 44 Prozent ergibt.

Die Landesliste von Brandenburg für diese Wahl enthält 32 Namen und hat sogar einen leichten Frauenüberschuss. Hier kann man sich die Direktkandidierenden für die zehn Brandenburger Wahlkreise anschauen. Martin Schulz führt den Wahlkampf als Kanzlerkandidat an.

Das Wahlprogramm trägt den Titel „Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm für Deutschland.“ und benutzt größtenteils geschlechtergerechte Sprache. Das Inhaltsverzeichnis ist knapp gehalten und gibt außer groben Themenüberschriften keine weiteren Anhaltspunkte. In der graphischen Gestaltung des Textes ist es schwierig, eindeutig zu erkennen, wo Einleitungen aufhören und themenspezifische Kapitel anfangen. Fairerweise muss ich hier dazu sagen, dass die farbliche Hervorhebung der Überschriften in meinem schwarz-weiß Ausdruck nicht zur Geltung kam.

Auch inhaltlich ist die Unterscheidung nicht ganz einfach, denn das Programm bleibt an vielen Stellen vage. Oft ist die Rede davon, dass Maßnahmen geprüft werden sollen, oder es werden Gesetze vorgeschlagen, ohne auf den genauen Inhalt einzugehen. Das ist wahrscheinlich realistisch und zeigt, dass die SPD eingehende Erfahrung mit den langsam mahlenden Mühlen der parlamentarischen Bürokratie hat. In einem Wahlprogramm sind diese ungenauen Aussagen jedoch irgendwie unbefriedigend.

Familienzeit und Geld

Die SPD möchte nicht, dass der Geldbeutel der Eltern entscheidend für den Bildungserfolg ist, und will daher Bildung von Kita bis zum Masterabschluss bzw. bis zur Meisterprüfung gebührenfrei machen. (S. 9)

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, möchte die SPD die neuen Konzepte Familienarbeitszeit und Familiengeld einführen. Hierbei sollen Eltern eine Belohnung erhalten, wenn sie sich die Arbeit partnerschaftlich teilen. Gehen beide in Teilzeit, erhalten sie jeweils 150 Euro monatlich für bis zu 24 Monate. Auch Alleinerziehende oder getrennt Erziehende und Regenbogenfamilien sollen Anspruch auf das Familiengeld haben. (S. 9f)

Um mehr Gleichberechtigung bei Familienarbeit zu erreichen braucht es auch einen „Kulturwandel in der Arbeitswelt“ und „die Abkehr vom ‚Präsenz-Wettbewerb“ (S. 10). Der öffentliche Dienst soll mit gutem Beispiel voran gehen und familienfreundliche Arbeits- und Besprechungszeiten sowie Homeoffice- und Dienstreiseregelungen einführen. Genauer wird darauf leider nicht eingegangen.

Betreuungsangebote für Kinder sollen verbessert werden. Es soll einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kita- und Grundschulkinder geben mit finanzieller Beteiligung des Bundes. (S. 10)

„Mit einem bundesweiten Gesetz werden wir die Qualität von Kitas mit Unterstützung des Bundes steigern. Wir brauchen besser ausgestattete Kitas und eine gesunde Ernährung. Mit zusätzlichen Erzieherinnen und Erziehern können die Kinder in den Gruppen besser betreut werden.“ (S. 10) Der Beruf soll dafür aufgewertet werden und die SPD möchte eine Fachkräfteoffensive.

Um Kinderarmut zu bekämpfen, sollen Kindergeld und Kinderzuschlag zusammengeführt werden. Dieses neue Kindergeld soll nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt werden. Die Partei möchte „das Konzept der Existenzsicherung für Kinder mit den unterschiedlich zusammenwirkenden Instrumenten regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen“. (S. 11)

Um den Übergang von Schule zu Ausbildung zu verbessern, möchte die SPD Jugendberufsagenturen etablieren. In Potsdam wird so eine Agentur demnächst ihre Türen öffnen. Außerdem soll es eine Mindestausbildungsvergütung geben. Wie hoch die sein soll, wird nicht gesagt. (S. 12)

Zur Verbesserung der Situation an Schulen, reiht sich die SPD in den Chor der anderen bisher betrachteten Parteien ein und möchte das Kooperationsverbot aufheben. (S. 13)

Nicht nur die Jugend soll gut leben können. Auch ältere Menschen liegen der SPD am Herzen. Sie möchte „flächendeckende und miteinander vernetzte Angebote für Gesundheit, Pflege und haushaltsnahe Dienstleistungen – legal, für alle zugänglich und bezahlbar.“ (S. 15) Auch an dieser Stelle, sollen sich Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen gemeinsam engagieren.

Pflegende Angehörige sollen ihre Arbeitszeit für bis zu drei Monate ganz oder teilweise reduzieren können und in dieser Zeit eine Lohnersatzleistung, die sich an der Höhe des Elterngeldes orientiert, erhalten. Wer länger in Teilzeit gehen will, kann auch hier das oben genannte Familiengeld in Höhe von 150 Euro in Anspruch nehmen. (S. 15)

Von Ausbildung bis Arbeit

Beim Thema Arbeit kehren wir noch einmal kurz zum Thema Berufsausbildung zurück. Die SPD möchte einen Berufsschulpakt, der die Ausstattung der Berufsschulen modernisiert und für ausreichend gute Lehrkräfte sorgt. „Ein solcher Pakt muss von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden. Die Unternehmen und Ausbildungsbetriebe werden wir einbeziehen.“ (S. 18) An dieser Stelle wären ein paar mehr Details ganz schön.

Im Wissenschaftsbetrieb möchte die Partei sich für einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent in Führungspositionen einsetzen. „Deshalb wollen wir eine verbindliche Quote für alle direkt personalwirksamen Maßnahmen des Bundes.“ (S. 19) Das ist nicht das selbe wie eine Frauenquote an den Unis.

„Wir wollen den Erfolg der Bologna-Reform sichern. […] Die ausufernde Anzahl von verschiedenen, sehr ausdifferenzierten Studiengängen werden wir deutlich begrenzen.“ (S. 20) Kommt das nicht der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre in die Quere?

Die SPD möchte beim BAföG eine „bedarfsdeckende Erhöhung der Fördersätze, die regelmäßig überprüft und angepasst wird“ (S. 21) Das BAföG für Schülerinnen und Schüler soll ausgebaut werden und das Studierenden-BAföG durch höhere Einkommens- und Altersgrenzen geöffnet werden.

In der Arbeitswelt möchte die Partei die sachgrundlose Befristung abschaffen, Leiharbeit von ersten Tag an genauso vergüten, wie die Stammbelegschaft und geringfügige Beschäftigung abbauen. „Die Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose werden wir abschaffen. […] Die Ausnahmen für die unter 18-Jährigen werden wir auf ihre Auswirkungen evaluieren und streben, wo möglich, ihre Aufhebung an.“ (S. 21f)

Bei der Lohngestaltung und Arbeitsbedingungen setzt die SPD auf Gewerkschaften. „Deshalb werden wir den eingeschlagenen Weg der gesetzlichen Privilegierung von Tarifpartnerschaften fortsetzen.“ (S. 22) Damit das auch in der digitalisierten neuen Arbeitswelt funktionieren kann, sollen Arbeitnehmer- und Betriebsbegriff entsprechend angepasst werden. So bleibt die Schutzfunktion des Arbeitsrechts erhalten. (S. 22)

Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Wahlmöglichkeiten entscheidend. „Wir wollen daher, in enger Abstimmung mit Gewerkschaften und Unternehmen, ein Wahlarbeitszeitgesetz auf den Weg bringen, in dem Rechtsansprüche der Beschäftigten, finanzielle Unterstützung in bestimmten Lebensphasen und Anreize für die Aushandlung betrieblicher Wahlarbeitskonzepte miteinander verzahnt sind.“ (S. 22) In diesem Zusammenhang soll es auch ein Recht auf Rückkehr zur Vollzeit geben, damit insbesondere Frauen nicht mehr in der Teilzeitfalle landen.

Demokratische Mitbestimmung in Betrieben ist für die SPD ein wichtiges Thema. „Die systematische Behinderung von Betriebsratswahlen und der Arbeit von Betriebsräten ist illegal und demokratiefeindlich und muss als Offizialdelikt konsequent verfolgt werden.“ (S. 24) Dafür sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet werden.

Die sozialen Berufe sollen aufgewertet werden. Die Ausbildung soll in Zukunft nicht mehr schulisch sein, sondern in das duale System einbezogen werden. „Dadurch machen wir sie nicht nur gebührenfrei, sondern schaffen zudem eine Ausbildungsvergütung! Ein Anreiz, der dazu führen wird, dass auch Männer diese Berufe verstärkt ergreifen.“ (S. 25)

Ein neues ALG Q

Die Arbeitslosenversicherung soll zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickelt werden. In diesem Rahmen soll es ein Recht auf Weiterbildung geben. „Arbeitslose, die innerhalb von drei Monaten keine neue Beschäftigung finden, sollen von der Bundesagentur für Arbeit ein Angebot für eine Qualifizierungsmaßnahme erhalten, um so ihre Vermittlungschancen zu erhöhen.“ (S. 26) Das klingt fast ein bisschen bedrohlich.

Immerhin gibt es hier mal eine sehr konkrete Idee. Für die Dauer der Maßnahme soll es ein neues Arbeitslosengeld Q geben. Die Höhe des ALG Q entspricht der des ALG I und wird nicht darauf angerechnet. Nach Ende der Weiterbildung oder Umschulung setzt der Anspruch auf ALG I wieder ein. Auch berufsbegleitende Weiterbildungen sollen so finanziell gefördert werden. „Alle Bürgerinnen und Bürger sollen perspektivisch nach Eintritt ins Berufsleben über ein persönliches Entwicklungskonto verfügen, das sie für die Absicherung von Weiterbildungszeiten nutzen können. Es soll mit einem öffentlich finanzierten Startguthaben ausgestattet werden.“ (S. 26)

Die Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld soll ebenfalls verkürzt werden. „Wer innerhalb von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zehn Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, soll künftig bereits Arbeitslosengeld erhalten.“ (S. 26)

„Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren und werden deshalb öffentlich geförderte Beschäftigung ausbauen und einen dauerhaften, sozialen Arbeitsmarkt schaffen.“ (S. 27) Die Linke hat eine ähnliche Idee in ihrem Programm. Dort wird das Konzept deutlich detaillierter ausgeführt.

Für Alleinerziehende soll es gezielte Angebote der Arbeitsförderung geben und dann folgt ein Satz, der mir Rätsel aufgibt: „Wir wollen auch für Kinder aus Familien, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, die Möglichkeit verbessern, mit beiden Eltern Umgang zu haben. Dazu werden wir einen Umgangsbedarf einführen, wenn beide Eltern das Kind betreuen.“ (S. 27) Ich gehe mal wohlwollend davon aus, dass hier keine böse Absicht bestand, aber die Formulierung ist unglücklich. Hier entsteht der Eindruck, als wären Eltern im ALG II Bezug alle getrennt.

Die schärferen Sanktionen für unter 25-Jährige und Sanktionen bei Unterkunftskosten sollen abgeschafft werden. Das Schonvermögen im SGB II soll verdoppelt werden. (S. 27)

Die vierte industrielle Revolution

Beim Thema Industrie demonstriert die SPD das Geschichtsbewusstsein einer alten Partei. „Industrie 4.0 ist die vierte industrielle Revolution – nach Dampfmaschine, Elektrifizierung und Automatisierung. Jeder dieser Veränderungsprozesse wurde von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften sozial verträglich gestaltet.“ (S. 29) Das soll jetzt auch bei der Digitalisierung geschehen.

Für digitale Ausrüstung sollen kleine und mittlere Unternehmen ein Digitalisierungskonzept vorlegen und im Gegenzug einen Zuschuss erhalten. Es soll in die Ausstattung von Berufsschulen investiert werden. (S. 30)

Und dann folgt ein Absatz, der ein schönes Beispiel für das eingangs beschriebene Problem ist. „Wir wollen die Ergebnisse aus der Dialogplattform Einzelhandel auswerten, um Strategien für lebendige Innenstädte und für die Nahversorgung im ländlichen Raum zu erarbeiten. Wir wollen an Modellstandorten die Strategie gemeinsam mit Akteuren vor Ort erproben und durch die Ergebnisse einen Roll-Out für andere Kommunen ermöglichen.“ (S. 30). Klingt realistisch und vernünftig, nur wie bringt man das im Wahlkampf knackig rüber?

Der Strukturwandel in der Energiewirtschaft schreitet unaufhaltsam voran, wovon vor allem die Braunkohleregionen betroffen sind. Hier soll an die industrielle Tradition der Regionen angeknüpft werden und gute Arbeit gefördert werden. Wirtschaftliche Aktivitäten in den neuen Technologien sollen mit Bundesmitteln gefördert werden. (S. 31) Das Programm sagt im Grunde, dass der Abschied von der Braunkohle nicht mehr abzuwenden ist, auch wenn das an dieser Stelle nicht so offen ausgesprochen wird.

Bei Innovationen und Gründungen wünscht sich die SPD eine „Kultur des Mutes“ (S. 32). An dieser Stelle werden Frauen besonders erwähnt. „Obwohl Frauen heute so gut ausgebildet sind wie nie zuvor, gründen sie nur knapp drei von zehn Unternehmen. Unser Ziel ist es, Frauen dabei zu unterstützen, öfter Unternehmen zu gründen.“ (S. 32) Sie sollen besseren Zugang zu Gründungskapital und spezifische Beratung und Unterstützung erhalten. „Außerdem wollen wir Gründungen von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen unterstützen.“ (S. 32)

In der Finanzwirtschaft soll es eine klare Trennung von Investment- und Geschäftsbanking und eine Einschränkung des Eigenhandels von Banken geben. „Mindesthaltefristen zur Begrenzung des Hochfrequenzhandels sind ein sinnvolles Instrument.“ (S. 35) Diese Formulierung lässt offen, wie die SPD zu diesem Instrument steht, oder was sie damit machen will. Es soll eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden.

„Wir bekennen uns klar zum Recht der Bürger auf Bargeld und werden Bestrebungen zu dessen Abschaffung entschieden entgegen treten.“ (S. 36) Ich habe jetzt fünf Wahlprogramme gelesen und alle sind Fans von Bargeld. Wer strebt denn die Abschaffung an?

Bis 2025 möchte die SPD „Breitband für alle“ (S. 38). Die Gigabitnetze sollen mehr als 90 Prozent der Gebäude erreichen und dafür notwendige Investitionen sollen gefördert werden. Öffentliche Einrichtungen sollen offene und kostenfrei WLAN-Hotspots zur Verfügung stellen. Ausnahmen vom Prinzip der Netzneutralität sollen begrenzt bleiben. (S. 38)

Es soll ein „Völkerrecht des Netzes“ geben, das die digitalen Grundrechte, z.B. Schutz vor Ausspähung und Cyberangriffen, definiert. (S. 39)

Ein neuer Generationenvertrag

Ähnlich wie die Linke möchte die SPD eine paritätische Bürgerversicherung in der auch Beamte und Beamtinnen einbezogen sind. Bisher privat Versicherte, sollen entscheiden können, ob sie wechseln möchten. Es soll eine einheitliche Honorarverordnung für ärztliche Dienste geschaffen werden, damit an Privatpatientinnen und -patienten nicht mehr Geld verdient werden kann. (S. 40)

„Wir werden die aktuellen Arbeitsbedingungen von Pflegehilfskräften und -fachkräften diskutieren und konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Attraktivität des Pflegeberufes erarbeiten.“ (S. 41) Das ist etwas lauwarm. Es soll ein Sofortprogramm für mehr Personal in der Altenpflege umgesetzt werden, um kurzfristig Entlastung für die Beschäftigten zu schaffen. (S. 41) Dazu hätte ich gerne mehr Informationen.

„Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag als Begleiterinnen beim Start ins Leben – vor, während und nach der Geburt. Wir müssen den Beruf attraktiver machen und die Arbeitsbedingungen verbessern. Der Wert ihrer Arbeit muss sich auch in der Bezahlung widerspiegeln.“ (S. 41) Stimmt. Und was genau wollen wir jetzt machen?

Frauen mit niedrigem Einkommen sollen steuerfinanziert Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln erhalten. (S. 43)

Zur Alterssicherung hat die SPD ein konkreteres Konzept erarbeitet. Es soll keine weitere Anhebung der jetzigen Regelaltersgrenze geben. (S. 43) Direkt nach der Wahl will die Partei ein Gesetz verabschieden, was das Rentenniveau auf mindestens 48 Prozent und den Beitragssatz auf maximal 22 Prozent stabilisiert. (S. 44) Mittelfristig möchte die SPD den Dialog über einen neuen Generationenvertrag anstoßen. Die Stabilisierung des Rentensystems ist nur „durch eine nationale Kraftanstrengung und in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens“ (S. 44) erreichbar. Ein großes Reformprogramm soll alle Potenziale mobilisieren.

Die Erwerbsbeteiligung muss erhöht werden. Die dafür notwendige kinderfreundliche Infrastruktur und familienfreundliche Lebensarbeitszeitmodelle könnten auch einen wünschenswerten Anstieg der Geburtenrate fördern. Eine systematische Einwanderungspolitik soll dem Fachkräftemangel vorbeugen und das Rentensystem muss für eine Übergangszeit durch zusätzliche Steuermittel und eine Verbreiterung der Versichertenbasis stabilisiert werden. (S. 44)

„Um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken, einem Fachkräftemangel vorzubeugen und das Verhältnis von Beitragszahlenden und Rentenempfängern positiv zu beeinflussen, wird es auch auf eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt und eine systematisch gesteuerte Zuwanderung durch ein Zuwanderungsgesetz ankommen.“ (S. 45)

Wer 35 Jahre Beiträge gezahlt hat, bzw. Zeiten für Kindererziehung und Pflege angerechnet bekommen hat, soll Anspruch auf eine gesetzliche Solidarrente haben, die 10 Prozent über dem durchschnittlichen Grundsicherungsanspruch am Wohnort liegt. So sollen Unterschiede in den Wohnkosten berücksichtigt werden. (S. 46)

Falls die Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge nicht von alleine geschieht, möchte die SPD eine gesetzliche Verpflichtung dazu schaffen. Die Riester-Rente soll weiter beworben werden und eine Anhebung der Grundzulage erhalten. (S. 47)
„Wir wollen einen Fonds für jene Menschen einrichten, die bei der Überleitung der Alterssicherung der DDR in das bundesdeutsche Recht erhebliche Nachteile erlitten haben, die im Rentenrecht nicht lösbar sind.“ (S. 47f)

Investitionen im großen Stil

In der Finanzpolitik bekennt sich die SPD klar zu Investitionen. Schulen und Berufsschulen, Kinderbetreuung, Wohnungen, Verkehrswege, Internet, Energieeffizienz, Polizei – an allen Stellen will die Partei Geld in die Hand nehmen. (S. 48) „Wir werden die zusätzliche Zukunftsinvestitionen in diesen Bereichen aus den Überschüssen im Bundeshaushalt bis 2021 finanzieren. Die Finanzplanung des Bundes bietet hierfür genug Spielräume. Wir betreiben daher eine Steuer- und Finanzpolitik, die die Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens gewährleistet und trotzdem nachhaltig, gerecht und ohne neue Schulden gestaltet wird.“ (S. 49) Das bedeutet wohl ein Festhalten an der Schuldenbremse.

Bei Steuern und Abgaben liegt der Schwerpunkt auf einer Entlastung von Familien und Alleinerziehenden. (S. 49) Das Ehegattensplitting soll beibehalten werden, jedoch soll es in Zukunft einen Familientarif mit Kinderbonus geben, von dem auch unverheiratete Eltern und Alleinerziehende profitieren können. Pro Kind sollen 150 Euro im Jahr von der Steuerlast abgezogen werden können. Im Familientarif sollen Ehepartner Einkommensanteile von höchstens 20.000 Euro untereinander übertragen können. (S. 50) Für Unverheiratete Paare scheint es diese Option nicht zu geben.

Für Einkommen zwischen 451 Euro und 1300 Euro soll es eine Entlastung bei Beiträgen geben, ohne dass dabei die Rentenansprüche ebenfalls reduziert werden. Die Differenz der Einnahmen soll aus Haushaltsmitteln beglichen werden. (S. 51)

Der Solidaritätszuschlag soll für mittlere und untere Einkommen ab 2020 wegfallen. „Das kann der Bundeshaushalt ohne Verwerfungen bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben verkraften […].“ (S. 51) Singles mit einem zu versteuernden Einkommen von unter 52.000 Euro im Jahr würden davon profitieren. Auch für höhere Einkommen soll der Solidaritätszuschlag stufenweise abgeschmolzen werden. (S. 52)

Im Moment greift ein Steuersatz von 42 Prozent ab einem Einkommen von 54.000 Euro. Die SPD möchte diese Grenze auf 60.000 anheben und dafür den Spitzensteuersatz linear-progressiv auf 45 Prozent erhöhen. Dieser wird ab 76.200 Euro Einkommen fällig. Die Reichensteuer soll drei Prozent über dem Spitzensteuersatz liegen und ab einem Einkommen von 250.000 Euro greifen. Eine Abgeltungssteuer soll dafür sorgen, dass Einkommen aus Kapital und Arbeit gleich besteuert wird. (S. 52)

Steuerhinterziehung soll stärker verfolgt und verhindert werden. „Wir machen Politik für die Anständigen.“ (S. 53)

Damit bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt, möchte die SPD die Mietpreisbremse verbessern und die Höhe des Wohngeldes regelmäßig anpassen. (S. 55)

Die Partei möchte einerseits „den Erwerb von Wohneigentum in der Stadt und auf dem Land stärker fördern“ (S. 55), sich aber andererseits auch „für mehr Wohnungen im öffentlichen und betrieblichen Eigentum einsetzen“ (S. 56).

Die SPD möchte einen Zeitplan erarbeiten, der Mobilität in Deutschland bis zum Jahr 2050 digital, schafstofffrei, barrierefrei und sicher gestaltet. (S. 58) Elektromobilität und eine Ladeinfrastruktur sollen vorangetrieben werden. „Wir wollen, dass Pendlerinnen und Pendler nicht permanent im Stau stehen. Wir werden daher mehr investieren, um die Verkehrswege zu erhalten und auszubauen.“ (S. 59) Stau lässt sich besser vermeiden, wenn man in andere Transportformen investiert.

Sicherheit nach innen und außen

Bei der Polizei sollen 15.000 Stellen bei Bund und Ländern neu geschaffen werden und Videotechnik eingesetzt werden. Eine Militarisierung der öffentlichen Sicherheit, wie z.B. der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, wird abgelehnt. (S. 69)

Im Äußeren vertritt die SPD jedoch eine Harte Linie. „Kriminelle und Terroristen dürfen nicht in die Europäische Union gelangen.“ (S. 70) Die Kontrollen an den Außengrenzen des Schengenraumes und Kontrollen an den Flughäfen sollen verstärkt werden. Nur so nebenbei, die Täter der jüngsten terroristischen Anschläge in Europa sind überwiegend hier geboren und aufgewachsen. „Ausländerinnen und Ausländer, die schwere Straftaten begehen sollen nach Verbüßung ihrer Strafe unverzüglich abgeschoben werden.“ (S. 70)

Europol und Frontex sollen stärker in die Terrorismusbekämpfung einbezogen werden. Es soll eine europäische Staatsanwaltschaft und ein Anti-Terrorzentrum auf europäischer Ebene geben. (S. 70)

Extremistische Gefahr droht auch von rechts. Die SPD möchte die Sicherheitsbehörden und die Bundeswehr mit „geeigneten Programmen“ (S. 71) dabei unterstützen, sensibel auf rassistische Einstellungen in den eigenen Reihen zu reagieren. Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund sollen besser statistisch erfasst werden und es soll eine Gesetz zur Demokratieförderung und Extremismusprävention geben.

Flucht, Einwanderung und Alternativen

Das Kapitel zu Migration beginnt mit dem Satz: „Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik“ (S. 74) Für die SPD bedeutet das die Sicherung der Außengrenzen, solidarische Verteilung Geflüchteter innerhalb Europas, konsequentere Abschiebung und „ein Einwanderungsgesetz, das transparent und verständlich regelt, wer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland einwandern kann und wer nicht“ (S. 74).

Damit europäische Länder eher bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen, schlägt die SPD vor, finanzielle Unterstützung aus dem europäischen Haushalt für die allgemeine Infrastruktur zu Verfügung zu stellen und nicht nur für die Versorgung der Geflüchteten. So hat auch der Rest der Bevölkerung etwas davon und die Akzeptanz steigt. (S. 75)

Das Recht auf Asyl soll geachtet werden und Asylverfahren sollen grundsätzlich auf europäischem Boden stattfinden. „Entlang der Fluchtrouten wollen wir außerdem Anlaufstellen schaffen. Dort soll es nicht nur Nahrung und medizinische Versorgung geben, sondern auch Beratungsangebote. Wir wollen den Menschen aufzeigen, welche Alternativen es für sie zur Flucht gibt.“ (S. 75) Liebe SPD, dieser Satz ist unheimlich zynisch. Wer sich zu Fuß durch die Sahara schlägt, macht das, weil er keine Alternativen mehr hat.

Die SPD möchte auch gerne Kontingente für Schutzbedürftige schaffen. Frauen, Kinder und Familien sollen Vorrang haben. Hier wird der Antrag und die Identitätsfeststellung im Ausland vorgenommen. Also doch kein Verfahren auf europäischen Boden? Die SPD sieht den Vorteil darin, dass wir dann vorher wissen, wer zu uns kommt. „Zugleich behalten wir die Kontrolle über die Einwanderung in unser Land.“ (S. 76) Ich sage es einmal, ich sage es tausend mal: Einwanderung und Flucht sind zwei verschiedene Dinge.

„Anerkannte Asylbewerberinnen und Asylbewerber wollen wir noch schneller integrieren.“ (S. 76) Wir reden hier über Menschen und ihre persönliche Entwicklung. Das ist kein Wettlauf. Manche Dinge brauchen einfach Zeit. Die Angebote an Sprachkursen und anderen Bildungsmaßnahmen sollen ausgebaut werden. „Wir erwarten, dass diese Angebote auch wahrgenommen werden.“ (S. 76)

Bei Einwanderung soll es ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild geben, wo nach Bildung, Arbeitserfahrung, Sprachkenntnissen und Integrationsfähigkeit entschieden wird. (S. 77)

Aktionsplan Gleichstellung

Die Gleichstellung von Frauen und Männern betrachtet die SPD als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie möchte in einem Aktionsplan Gleichstellung alle gleichstellungspolitischen Maßnahmen bündeln und ein Stelle einrichten, die berät und Service anbietet. (S. 81)

Um einen Frauenanteil von 50 Prozent in Führungsgremien zu erreichen, soll die Frauenquote nach und nach ausgeweitet werden auf alle Bereiche in Wirtschaft, Verwaltung, Medien, Kultur und Wissenschaft. „Wir wollen, dass Frauen und Männer auch in Parlamenten auf allen Ebenen gleichberechtigt beteiligt sind. Wir werden verstärkt Frauen ansprechen und für politische Beteiligung gewinnen.“ (S. 82)

Die Frauenbewegung soll wissenschaftliche aufgearbeitet und ihre Bestände digital gesichert und öffentlich zugänglich gemacht werden. (S. 82)

„Bei Bewerbungen kommt es zu unbewussten Diskriminierungen, etwas aufgrund des Geschlechts, Aussehens, Alters oder eines Migrationshintergrundes. Anonymisierte Bewerbungen sind ein Weg, um Fairness im Bewerbungsverfahren herzustellen.“ (S. 84) An dieser Stelle fehlt jetzt eine Aussage dazu, wie die SPD zu dem Thema steht und ob bzw. wie sie da etwas umsetzen möchte.

Europa und die ganze Welt

Das europäische Einigungswerk ist momentan von innen wie von außen bedroht. Die SPD möchte hier für den Zusammenhalt kämpfen. „Wir wollen ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa!“ (S. 95) Einer der Hauptvorteile eines vereinten Europas liegt für die SPD darin, dass man dann international mehr zu sagen hat. „In dieser Welt, in der Asien, Lateinamerika und Afrika wachsen, werden unsere Kinder und Enkel nur dann eine Stimme haben, wenn es eine gemeinsame europäische Stimme ist.“ (S. 95) Die Welt als Konkurrenz gedacht.

Europa soll mit einem breit angelegten Investitionsprogramm für Infrastruktur, Bildung, Forschung und Entwicklung und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aus der Wachstumsschwäche geführt werden. (S. 96) Es soll eine gemeinsame Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum eingeführt und die Integration der Streitkräfte vorangetrieben werden. (S. 98f)

„Die Türkei ist in vielen Bereichen ein wichtiger, wenngleich mittlerweile sehr schwieriger Partner.“ (S. 100) Die Massenverhaftungen von Journalistinnen und Journalisten und die Einschränkungen der Grundrechte werden in aller Schärfe verurteilt. Die Beitrittsverhandlungen sollen allerdings vorerst aufrechterhalten werden, denn sie sind das einzige kontinuierliche Gesprächsformat zwischen EU und Türkei und eine Isolierung wäre nicht im Interesse Europas. Die Beitrittsverhandlungen sollen jedoch beendet werden, sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen. (S. 100)

Die europäischen Verträge sollen überarbeitet werden und mittelfristig in eine europäische Verfassung übergehen, „die sicherstellt, dass wirtschaftliche Integration mit sozialem Fortschritt und mehr Demokratie verbunden wird“ (S. 101).

International sieht die SPD Deutschland bereit dafür, eine Führungsrolle zu übernehmen und einen stärkeren Beitrag zur Lösung regionaler und globaler Sicherheitsprobleme zu leisten. (S. 102)

„Wir werden eine Gesetzesinitiative zur Änderung der Rüstungsexportpolitik Deutschlands einbringen. Sie wird ein grundsätzliches Verbot des Kleinwaffenexportes in Drittstaaten außerhalb von EU, Nato und vergleichbaren Ländern enthalten.“ (S. 104) Autonome Waffensysteme sollen völkerrechtlich geächtet werden. (S. 105)

„Die USA sind und bleiben der engste Partner Deutschlands außerhalb Europas – dies gilt unabhängig davon, wer in den USA regiert.“ (S. 107) Angesichts der aktuellen Herausforderungen können Europa und die USA es sich nicht leisten, alleine zu handeln, jedoch sieht die SPD künftig eine größere Verantwortung bei uns für Frieden und Sicherheit in der Welt.

Plötzliches Ende

Auf der letzten Seite steht noch etwas zu Unternehmensverantwortung auf internationaler Ebene und der ILO-Konvention 169 und dann bricht das Programm einfach so ohne letzte Worte ab. Ein Wahlaufruf hätte da schon noch hingepasst. Eigentlich sind mir Oberflächlichkeiten bei den Programmen nicht so wichtig, aber in diesem Wahlprogramm gibt es auffällig viele kleine Tipp- und Formatierungsfehler. Das alles verstärkt nur den Eindruck, dass das Programm irgendwie eilig hingeschludert wirkt. Das gibt Abzug in der B-Note.

Manche Punkte, wie z.B. die Rentenreform, sind konkret und umfangreich dargestellt. An vielen anderen Stellen bleiben Ideen unvollendet und angekündigte Vorhaben werden nicht weiter erklärt. Manche Sätze stellen einfach nur die Faktenlage dar, ohne die Position der Partei dazu überhaupt zu erwähnen.

Uns bleibt hier nur noch die Bewertung. Die A-Note ist für Inhalt, die B-Note für Stil. Die Skala beginnt bei null und geht bis zur Höchstnote neun.

Bis dann denn,

Laura

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FRAUEN STIMMEN GEWINNEN ist ein Projekt des Autonomen Frauenzentrums Potsdam in Kooperation mit dem Frauenpolitischen Rat des Landes Brandenburg. Die Texte sind verfasst von Laura Kapp. Jennifer Hoffmann betreibt die Social Media Accounts.
Das Projekt wird finanziell gefördert durch die Brandenburgische Landeszentrale für Politische Bildung (Vielen Dank!). Anmerkungen, Ideen, Feedback, Kritik und Komplimente sind herzlich willkommen: per e-mail unter frauenstimmen@frauenzentrum-potsdam.de, auf Twitter @frauenstimmen oder auf Facebook.