Ein gutes Leben

Ich sprach neulich mit einer Mutter. Sie sagte, dass sie es gut findet, dass ich mich als Gleichstellungsbeauftragte dafür einsetze, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Sie fände es allerdings auch wichtig, wenn Mütter oder Väter, die Sorgearbeit leisten nicht leer ausgingen, „denn dies sei ja auch Arbeit, aber eine Arbeit, die in unserer Gesellschaft nicht anerkannt sei“. Die Frau hat mich angeregt, diesen Blog hier zu schreiben und ich bedanke mich bei ihr dafür sehr herzlich!

Das Motto der 30 Jahre brandenburgische Frauenwochen „Zurück in die Zukunft“ legt für mich den Finger in die Wunde der Gleichberechtigung mit all ihren unterschiedlichen Facetten im wiedervereinigten Deutschland, aber auch auf der ganzen Welt und den damit verbundenen Fort- und Rückschritten vergangener Jahre.

Transformation und Disruption braucht Frauen

Ungerecht ist, dass alle Führungsetagen in Deutschland, egal ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur oder im Sport immer noch Männerdomänen sind. Unsere Gesellschaft vergibt sich damit ein riesiges Potenzial. Denn die Kompetenzen von Frauen werden dringend benötigt. Frauen in Entscheidungspositionen sind auch deswegen so notwendig, weil sie die herkömmlichen Positionen in Frage stellen können- da sie diese selbst nicht geschaffen haben. In Zeiten der digitalen Transformation und Disruption, also dem radikalen Aufbrechen existierender Glaubenssätze und Strukturen, ist dies auch eine Frage unserer Zukunftsfähigkeit.

Der Kampf der Frauenbewegung für Gleichberechtigung in männerdominierten Arbeitsfeldern hat in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen, das ist gut so, aber nicht ausreichend.

Es ist also höchste Zeit, die Beförderung von Frauen in den Unternehmen und Verwaltungen als strategisches Zukunftsziel zu verstehen und nicht als „nice to have“!

Die Ungerechtigkeit unbezahlter Arbeit

Ungerecht ist auch, dass unbezahlte Arbeit von Frauen Milliarden Werte schafft, Milliarden, die sich Andere aneignen. Weltweit leisten Frauen und Mädchen über zwölf Milliarden Stunden Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit.

Silvia Federici, italienische Feministin und Philosophin hat schon in den 70iger Jahren die Entlohnung der Haushalt- und Fürsorgetätigkeit gefordert. Federici ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der in den USA entstandenen Internationalen Kampagne „Lohn für Hausarbeit“. Dabei ging es nicht darum, die Hausarbeit zu institutionalisieren, damit die Frauen „zu Hause“ bleiben. Es ging darum, nein zu sagen zu unbezahlter Arbeit im Kapitalismus.

Für Federici ist Reproduktionsarbeit, und damit meint sie nicht nur das Aufziehen der Kinder, sondern auch die Pflege der Älteren und Hilfebedürftigen und all die Haushalts- und Fürsorgetätigkeiten, die im erweiterten Familienumfeld anfallen, die Grundlage von allen anderen Arbeiten. Diese Sorgearbeit wird aber nicht rechenbar gemacht und auch nicht als Arbeit wahrgenommen. Wir alle kennen die Frauen, die den Haushalt alleine stemmen und die Kinder versorgen um ihren Männern im Job den Rücken freizuhalten. Im Ergebnis hat das viele Frauen verarmen lassen und von Männern abhängig gemacht.

Interessanterweise soll den Begriff «Hausfrauenlohn» 1972 der Radikaldemokrat und Künstler Joseph Beuys erfunden haben: Auf der „dokumenta5“ zeichnete er mit einem Stück Kreide auf eine Schiefertafel die Forderung nach einem „Hausfrauengehalt“. Dies soll für alle – selbstverständlich auch für Männer – gezahlt werden, die sich hauptsächlich um ihre Kinder kümmern. Schon die Debatte darüber, postuliert Beuys, sei Kunst, denn sie schaffe eine „soziale Plastik“, da allein der Gedanke eines Hausfrauengehaltes den herrschenden Arbeits-, Rechts- und Freiheitsbegriff der Gesellschaft erschüttere.

Federici argumentiert, dass die feministische Bewegung es zwar geschafft hat, die spezifischen Formen der Ausbeutung von Frauen im Kapitalismus- also reproduktive Arbeit, sichtbar zu machen, aber dass sie bisher keine Strategie gefunden hat, um diese Verhältnisse zu verändern.

Ein kurzer Blick in das Postwachstum

Deswegen dürfen wir diese Gleichstellungsfragen als ökonomische Fragestellungen mit kapitalismuskritischen Konsequenzen nicht ignorieren. Seit den 1980iger Jahren existiert national und international ein wachstumskritischer feministischer Diskurs, auch als Postwachstum oder als Degrowth benannt.

Grundlage der für das Postwachstum relevanten Analysen von Wirtschaft ist das Eisbergmodell. Von einem Eisberg ist bekanntlich nur die Spitze sichtbar. Das Eisbergmodell der Wirtschaft zeigt auf, dass das, was gewöhnlich als Wirtschaft identifiziert wird -Waren, Lohnarbeit, Investitionen- nur die Spitze des Eisberges sind. Sämtliche andere Tätigkeiten, die „unter der Wasseroberfläche“ stattfinden, sind für die Wirtschaft unsichtbar, bilden aber dennoch die Grundlage, ohne die die Spitze überhaupt nicht existieren könnte.

Auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst nur Geldströme, also nur die Spitze des Eisberges und blendet den Großteil des wirtschaftlichen Geschehens damit einfach aus. Nur durch diese Ausblendung ist es möglich, die Figur des „Homo oeconomicus“ als Grundfigur der Wirtschaftswissenschaften zu nutzen. Dieser wird als unabhängige, beziehungslose, rational agierende, egoistische, gesunde und geschlechtslose Person mittleren Alters konzeptualisiert. Weil von diesem extrem verkürzten Menschenbild ausgegangen wird, legitimieren große Teile der Wirtschaftswissenschaften konkurrenzbasiertes Wachstum als einzig vernünftiges Ziel des Wirtschaftens.

Andere Wirtschaftsformen – Schenken, Tauschen, Leihen, Sammeln oder Teilen etc. sind für das BIP unsichtbar. Damit wird „der Kapitalismus“ als rationales und alternativloses Wirtschaftsmodell immer wieder legitimiert und stabilisiert, während es für eine geschlechtergerechte Gesellschaft (und den Schutz der natürlichen Ressourcen und den Kampf gegen die Klimakrise) notwendig wäre, sich stärker der Förderung einer Postwachstumsökonomie  und nicht-kapitalistischer Wirtschaftsformen zuzuwenden.

Ethik des Sorgens

So schlägt zum Beispiel das Netzwerk „Vorsorgendes Wirtschaften“ (2012) eine vorsorgende Wirtschaftsweise vor. Hier gelten alle Tätigkeiten gleichermaßen als „Produktivitäten“. Grundlage des vorsorgenden Wirtschaftens ist eine „Ethik des Sorgens“, die zu einer Vorsorgerationalität führt, die dem Lebenserhalt dient und drei Impulse beinhaltet:

  1. Vorsorgen statt Nachsorgen,
  2. Kooperieren statt Konkurrieren,
  3. Orientierung am für das gute Leben Notwendigen statt an Wachstumsraten.

Darin, dass in den meisten Gesellschaften Frauen für die Reproduktionsarbeit zuständig waren und sind, sieht Federici heute auch eine große gesellschaftliche Chance. Denn sie könnten den Wandel hin zu einer gemeinschaftlichen, post-kapitalistischen Ökonomie vorantreiben. Sie nennt ihre Idee „Commons“, der Begriff steht bei ihr für die Wiederentdeckung und Neuerfindung von Formen solidarischer Ökonomie. Wasser, Land, Fischbestände und Wald – all diese Ressourcen und auch ideelle, wie Sprache und Wissen sollten als Gemeingüter aufgefasst und gemeinschaftlich bewirtschaftet werden.

Wirksame Beziehungen aufbauen

Ein Teil des Kampfes ist für Federici dann auch, wirksame Beziehungen zwischen uns Frauen aufzubauen: „Dazu müssen wir soziale Momente schaffen, z.B. gemeinsam tanzen, Musik machen (Punk). Wir brauchen Räume, in denen wir zusammen kommen, um Freude und Kreativität in unser Leben zu bringen.“

Und nun schließt sich der Kreis zur 30. Brandenburgischen Frauenwoche, die genau auch dieses im Sinn hat. Die Frauenwochen schaffen im ganzen Land Brandenburg zwei Wochen lang Räume, um sich zu begegnen, zu tanzen, zu feiern, Beziehungen zu stärken und um über unsere Zukunft zu reflektieren, zu diskutieren, und auch um in politisch bewegten Zeiten einen wachstumskritischen, ökologischen und feministischen Diskurs zu wagen. Seid dabei und macht mit!

Es grüßt Euch Martina Trauth!

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „Zurück in die Zukunft“ anlässlich zur 30. Brandenburgischen Frauenwoche 2020. Die letzten 30 Jahre sind geprägt von Wendepunkten in den Biografien aller Brandenburgerinnen. Mit dem Motto wollen wir nicht nur erinnern – mit unseren Erfahrungen richten wir den Fokus in die Zukunft: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Wöchentlich erscheint ein Beitrag, wenn auch Du oder Sie was schreiben wollen, freuen wir uns über Zusendungen!