Zurück in die Zukunft – Wie uns Geschichten helfen, die Gegenwart zu verstehen, um die Zukunft zu gestalten

Ich bin eine von fünf Sprecherinnen im Frauenpolitischen Rat. Meine Mitgliederorganisation im FPR ist die christlich-konservative Frauen Union. Ich bin Jahrgang 1967 und im katholischen Köln am Rhein geboren und aufgewachsen.

Drei Sätze zur Einleitung und ich bin davon überzeugt, dass bei den meisten Leser*innen ein Bild aufpoppte, eine Schublade aufgegangen ist – ein Klischee bedient wurde. Stereotype wirken. Das funktioniert auch ganz wunderbar mit dem Ossi-Klischee.

Es sind die Stereotypen – die Klischees – die Schubladen – die uns trennen. Sollen sie ja auch: das schafft angeblich Ordnung. Wir wissen das und etikettieren unsere Schubladen, wie wir es gelernt haben – je nach Sozialisation.

Es ist unangenehm, die sorgsam eingerichteten Schubladen aufzumachen und darüber nachzudenken, ob es vielleicht übernommene und überkommende, dogmatische und/ oder Mainstream-Urteile waren, die uns den einen oder den anderen Menschen in die eine oder die andere Schublade stecken ließen. Und noch anstrengender ist es, über das Etikett an der Schublade nachzudenken, denn es ist unsere Entscheidung, was letztendlich auf den Etiketten steht und wir das bewerten. Ossi oder Wessi. Mann oder Frau oder Divers. Reich oder arm. Dumm oder klug. Deutsch oder …? Wer bestimmt, was letztendlich auf dem Schild steht? Wer definiert die Kategorien? Wer schafft die Strukturen? Wer misst den Wert zu? Das sind wir. Es sind unsere Entscheidungen.

Zurück in die ZukunftZeit ist konstant – wir sind es, die sich in ihr verändern.

In dem gleichnamigen Film von Robert Zemecki „Zurück in die Zukunft“ aus dem Jahre 1985, findet sich Marty McFly (Michael. J.Fox) dank einer Zeitmaschine in der Vergangenheit wieder. Der Charme des Filmes liegt darin, dass der Protagonist versucht, mit dem Wissen der Gegenwart vermeintlich fehlerhafte Handlungen in der Vergangenheit zu verändern. Widrige Umstände führen aber dazu, dass er einiges unternehmen muss, damit die Zukunft genauso wird, wie er sie verlassen hat. Es endet damit, dass Marty McFly mit dem Wissen um seine eigene Herkunftsgeschichte, sein Denken wandelt – und in der Gegenwart einen verständigeren Blick auf die Realität und die Menschen der Jetzt-Zeit hat. Das verändert seine Haltung und sein Handeln.

Was hat die Brandenburgische Frauenwoche damit zu tun?

Die Veranstaltungen der Brandenburgischen Frauenwoche 2020 geben uns die Chance, miteinander über unterschiedliche Themen ins Gespräch zu kommen: wir wollen nicht zurück, wir sollten uns aber erinnern und uns endlich offen unsere Geschichten erzählen.

Wir müssen erzählen und zuhören:  – neugierig – interessiert – aufmerksam – achtsam – ohne (ab)zuwerten oder Schuldzuweisungen. Wir wissen nicht, ob wir in der Situation der Anderen anders gehandelt hätten – für unsere Rechte revoltiert hätten oder eine Rolle ausgefüllt hätten. Der Konjunktiv der Vergangenheit ist undankbar.

Wir, Frauen von Ost und West, Nord und Süd, haben alle unsere Geschichten, die uns genau hierher an diesen Punkt gebracht haben – wäre es nicht interessant herauszufinden, welche das sind? Und wäre es nicht spannend, welche Schlüsse die Frauen gezogen haben und was sie aus der eigenen Geschichte gelernt und aus den Geschichten der Anderen neu erfahren haben? Wäre es nicht eine Chance durch diese Gespräche, Stereotypen aufzubrechen, Etikette umzuformulieren, Verbindungen zu knüpfen, Visionen für die Zukunft auszutauschen, Pläne zu schmieden, Konzepte zu erarbeiten, Vorschläge zu unterbreiten – und – ja – nach 30 Jahren auf der wiedervereinten, aber nicht wirklich gemeinsam empfundenen Zeitschiene, endlich miteinander anzufangen, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten, in der für alle unsere verschiedenen Lebensentwürfe Platz ist.

Wenn mich also jemand fragen würde: „Wie sieht Deine Geschichte der letzten 30 Jahre aus?“  Was würde ich erzählen? Von den letzten 30 Jahren der Wiedervereinigung habe ich drei Jahre in Bosnien-Herzegowina, zwei Jahre in Serbien, drei Jahre in Usbekistan, etwas mehr als ein Jahr in Kasachstan und fünf Jahre in Ghana gelebt. Fast die Hälfte des Einigungsprozesses habe ich also eher von außen als Zuschauerin beobachtet. Ich würde von den Nachkriegsjahren in Sarajevo erzählen, von den Konflikten zwischen den Rückkehrer*innen und den im Krieg Dagebliebenen. Ich würde von den zwei folgenden Jahren in Serbien erzählen, von den Menschen, die ich vorher als Aggressoren etikettierte und dort dann neue Erfahrungen machte. Ich würde von meinen Erfahrungen mit usbekischen und kasachischen Frauen während meiner Zeit in Taschkent und Almaty erzählen und schließlich von den fünf Jahren in Ghana, einem Land, das in mir so viele Emotionen auslöst. Alle diese Erfahrungen prägten mein Weltwissen, meinen Blick auf Menschen – meine Liebe zu Menschen im Allgemeinen und Besonderen – und meine Vision von einer gemeinsamen Zukunft. Ich will damit sagen, dass die ersten drei Sätze über einen Menschen nicht ausreichen – nie ausreichen – für ein Etikett.

Text: Dr. Regina Ryssel

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „Zurück in die Zukunft“ anlässlich zur 30. Brandenburgischen Frauenwoche 2020. Die letzten 30 Jahre sind geprägt von Wendepunkten in den Biografien aller Brandenburgerinnen. Mit dem Motto wollen wir nicht nur erinnern – mit unseren Erfahrungen richten wir den Fokus in die Zukunft: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Wöchentlich erscheint ein Beitrag, wenn auch Du oder Sie was schreiben wollen, freuen wir uns über Zusendungen!