ZURÜCK mit Anerkennung und Respekt – gemeinsam in die ZUKUNFT!

Es war wahrscheinlich eine Veranstaltung im Jahr des 20. Jubiläums der deutschen Vereinigung, zur deutschen Vereinigung aus Frauensicht, auch zur Frage von verbliebenen Mauern und entstandenen Brücken zwischen Frauen aus dem Osten und dem Westen. Ich erinnere mich nicht mehr an das Gesprochene, aber umso deutlicher an die Traurigkeit und das Erschrecken, die die Fischbowl-Diskussion bei mir hinterließ. Wieviel Mauer noch da war, wieviel Aneinandervorbeireden, Dozieren, Rechtfertigerei und Rechthaberei sowie Wettbewerben um die „bessere“ Emanzipation – zwischen uns Frauen!

Wie sieht das 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung aus? – Und warum vielleicht, zu unser aller Leidwesen, nicht so viel besser?

Wie wir Frauen die letzten 30 Jahre deutsche (Frauen-) Geschichte erlebt haben und bewerten, hat nicht nur, aber durchaus auch etwas mit dem Davor zu tun. Frauen spielten im System der DDR und der alten Bundesrepublik sehr unterschiedliche Rollen. Grob gesagt, war es in der DDR kulturell höchst erwünscht bis „verordnet“ und in der Konsequenz strukturell abgesichert, dass Frauen Beruf und Familie vereinbaren: Beruf first, Familie auch wichtig. In der alten Bundesrepublik dominierte kulturell wie strukturell die Norm des „ErnährERmodells“, was Müttern maximal Zuverdienerinnen-Rollen einräumte: Familien- und Hausarbeit first, Beruf unwichtig.

Mit dieser jeweiligen Erfahrung und Positionierung gingen wir in die deutsche Vereinigung. Aus heutiger Sicht lässt sich wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sich in Ostdeutschland kaum etwas so gravierend verändert hat wie die Geschlechterverhältnisse – eine logische Nebenwirkung der kapitalistischen Neuordnung. Der Umbruch der deutschen Vereinigung wurde für die ostdeutschen Frauen zum Wegbruch, für die westdeutschen Frauen zum Aufbruch.

Die westdeutsche gesellschaftliche Norm des „ErnährERmodells“ wurde einfach auf Ostdeutschland und Ostdeutschlands Frauen ausgeweitet, die DDR-Vereinbarkeitsnorm – die eigene wirtschaftliche Existenz und Unabhängigkeit absichernd und sicherlich den Grundstein des „anderen Selbstbewusstseins“ legend, der Ostfrauen nachgesagt wird – wurde sang- und klanglos Geschichte. Auf diesen abrupten Abbau vorhandener kultureller und struktureller Voraussetzungen für die Vereinbarkeit und die Erwerbschancen von Frauen in den 90er Jahren folgten etwa seit Anfang dieses Jahrtausends die politische Entdeckung der Notwendigkeit moderner Vereinbarkeitspolitik und die Bemühungen um eine höhere Frauenerwerbsquote.

Westdeutsch gefühlt steht die deutsche Vereinigung somit für den Anfang eines verheißungsvollen und kontinuierlichen Aufwärtstrends in der Vereinbarkeits- und Gleichstellungspolitik. Ein gutes Gefühl. Aus ostdeutscher Perspektive fühlt sich dieser Abwärts- und dann wieder Aufwärtstrend wie eine Zickzackkurve zunächst abgewickelter Errungenschaften an, die seit etwa 20 Jahren in Westdeutschland erstmals etabliert und in Ostdeutschland wieder aufgebaut werden – unter großen Mühen wohlgemerkt. Ein sehr anderes und vor allem: kein gutes Gefühl – auch, weil die vollständige (Wieder-) Herstellung ostdeutscher Vereinbarkeits- und Erwerbsverhältnisse für Frauen bis heute auf sich warten lässt.

Diese Historie steckt uns – wenngleich der einen mehr, der anderen weniger – in den Knochen und macht etwas mit dem Miteinander von uns Frauen aus Ost und West. Solange das unausgesprochen bleibt, auch Ungutes oder zumindest anhaltend „Fremdelndes“. Die letzten 30 Jahre haben uns da zusammen wachsen lassen, wo wir für gemeinsame frauenpolitische Nenner gestritten haben, die es zuhauf gibt. Sie haben uns aber nicht automatisch die Dialog- und Begegnungsangebote gemacht – andernorts werden diese als Formate notwendiger „Aufarbeitung“ vorgeschlagen – die die gegenseitige Anerkennung und den gegenseitigen Respekt entstehen lassen, den es für das Zusammenwachsen trotz des unterschiedlichen historischen Erbes braucht. Vielleicht ist das die Aufgabe der 30. Brandenburgischen Frauenwoche?

Soviel steht jedenfalls fest: Gesellschaftliche Normen, die Menschen entlang von Kategorien nahelegen bis Vorschriften machen, wie das „richtige“ Leben für sie aussieht, sind aus (gleichstellungs-) politischer Sicht nie gut – da nehmen sich DDR und alte Bundesrepublik nichts: Beide Gesellschaften haben Frauen bestimmte Plätze angewiesen, vielleicht in der DDR mit etwas mehr Beinfreiheit als in der Bundesrepublik. Vollendete Gleichberechtigung, in der gerade auch unterschiedliche Frauenleben im Sinne echter Wahlfreiheit friedlich koexistieren können, boten jedoch weder der Osten noch der Westen – die bleibt Zukunftsaufgabe für unsere gesamtdeutsche Frauenbewegung!

In diesem Sinne freue ich mich auf hoffentlich viele Jubiläumsaktivitäten, die von einem Geist des Miteinanderredens, des gegenseitigen Lehrens und Lernens sowie des Streitens für die uns gemeinsamen Visionen vollendeter Emanzipation geprägt sein werden – brandenburgische, gesamtdeutsche, europäische und nicht zuletzt: weltoffene!

Text: Dr. Uta Kletzing

Bild: Creative Commons

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „Zurück in die Zukunft“ anlässlich zur 30. Brandenburgischen Frauenwoche 2020. Die letzten 30 Jahre sind geprägt von Wendepunkten in den Biografien aller Brandenburgerinnen. Mit dem Motto wollen wir nicht nur erinnern – mit unseren Erfahrungen richten wir den Fokus in die Zukunft: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Wöchentlich erscheint ein Beitrag, wenn auch Du oder Sie was schreiben wollen, freuen wir uns über Zusendungen!