Mobilität ermöglicht Teilhabe – Auf dem Weg zu gendergerechter Mobilität und Stadtplanung

Posted by on Dez 11, 2023 in Allgemein

Am 28.11.2023 waren Vertreterinnen des Frauenpolitischen Rates Land Brandenburg e.V. und des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Landesverband Brandenburg e.V. für ein Austauschtreffen ins Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg (MIL) eingeladen. Das Thema: Wie können wir genderspezifische Bedürfnisse in der Ausgestaltung von Regionalplanung und Mobilität besser mitdenken, um die Teilhabe von Frauen am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben zu ermöglichen.

Im März dieses Jahres hatten wir bei einer unserer Veranstaltungen Bundesbauministerin Klara Geywitz zu Gast, die es gut auf den Punkt gebracht hat:

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: „Frauen machen zwar mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Häuser, Städte und Gemeinden werden aber oft aus einer traditionell-männlichen Perspektive geplant. Frauen kommen in dieser Perspektive nur am Rande vor.“

Das muss sich ändern.

Anja Hänel, Geschäftsführerin des VCD Brandenburg: „Als Verkehrsexpertin wünsche ich mir vom Verkehrsministerium das Thema gendergerechte Verkehrs- und Stadtplanung stärker aufzugreifen und zu thematisieren. Denn noch sind die Mobilitätsbedürfnisse von Frauen sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Beteiligung stark unterrepräsentiert.“

Claudia Schubert, Sprecherin im Frauenpolitischen Rat Land Brandenburg e.V.: „Für unser Flächenland Brandenburg sind verlässliche wie individuelle und flexible Mobilitätsangebote mit Blick auf den klimaverträglichen Wechsel zum ÖPNV ein zentrales Thema. Das ist essenziell, damit alle Menschen, am Standrand oder im ländlichen Raum, zu Tagesrandzeiten oder am Wochenende, mobil sein können, um Chancen zur Teilhabe bei Arbeit, Bildung, Gesellschaft, Politik, Kultur, Gesundheit und sozialem Leben überhaupt ergreifen zu können.
Chancengleichheit entsteht nicht nur durch Gesetze, sondern durch Angebote und die Möglichkeit, diese auch nutzen zu können. Das gilt für allen Menschen, im Besonderen aber für Frauen mit ihren spezifischen Mobilitätsanforderungen, die wir als Frauenpolitscher Rat Land Brandenburg in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Hier muss das Verkehrsministerium genauer hinschauen und bestehende Mobilitätsangebote besser kommunizieren.“

 

Hintergrund: Mobilität ermöglicht Teilhabe

Studien belegen, dass in der Mehrzahl Frauen als Resultat der sozialen Rollenverteilung ein anderes, viel spezifischeres Mobilitätsverhalten aufweisen: Da sie häufig mehr „Care“-Arbeit übernehmen, legen sie im Schnitt mehrere kurze Wege zurück z.B. gemeinsam mit Kindern, älteren Menschen oder Menschen mit Assistenzbedarf. Sie sind weniger mit dem Auto und dafür häufiger mit dem ÖPNV, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs.

Warum ist es wichtig, diese spezifischen Bedürfnisse von Frauen stärker in den Blick zu nehmen? Mobilität ist ein Grundbedürfnis und ermöglicht Teilhabe am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Gerade in einem Flächenland wie Brandenburg ist dies von enormer Bedeutung. Sind die individuellen Mobilitätsmöglichkeiten eingeschränkt, geht dies mit einer geringeren gesellschaftlichen Teilhabe einher. Wenn also die Mobilitätsbedürfnisse von Frauen, aber auch von Kindern, Menschen mit Behinderungen, von älteren und von Armut betroffenen Menschen nicht konsequent mitgedacht werden, verringert dies ihre Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe deutlich – z.B. kann der vielversprechende Job in einer anderen Stadt nicht angenommen werden oder die Übernahme eines politischen Amts ist nicht mit dem Alltag vereinbar.

Es geht also nicht nur um Frauen, sondern um eine bessere Mobilität für alle. Es geht darum zu lernen, wie man vielfältige Mobilitätsbedürfnisse unterschiedlicher Nutzer:innengruppen besser berücksichtigen kann. Es braucht eine geschlechtergerechte und inklusive Stadt- und Regionalplanung sowie eine diskriminierungsfreie und klimaverträgliche Mobilität für alle Menschen in Brandenburg.

 

Rückblick: Netzwerk „Gemeinsam gegen Diskriminierung – Mobilität für alle!“

Der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg e.V. war 2021 einer der Unterstützer des vom VCD Brandenburg initiierten Netzwerks „Gemeinsam gegen Diskriminierung – Mobilität für alle!“. Das Projekt zielte darauf konkrete Forderungen und Maßnahmen zu benennen, um Einschränkungen in der Mobilität unterschiedlicher Gruppen entgegenzuwirken. Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass es sich um strukturelle und systemische gesellschaftliche Probleme und Machtverhältnisse handelt, die sich auch im Mobilitätsbereich ausdrücken. Die Einschränkungen der Mobilität sind ein Resultat verschiedener Diskriminierungsformen.

Zum Nachlesen:

 

Ausblick: Auf dem Weg zu gendergerechter Mobilität und Stadtplanung?

Mit dem Austauschtreffen im Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg (MIL) am 28.11.2023 rückten der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg e.V. und der VCD Brandenburg e.V. das Thema gendergerechte Mobilität und Stadt- und Regionalplanung erneut in den Fokus. Im Gespräch waren die Abteilungen 1 „Grundsatzangelegenheiten und Koordination“, unter der Leitung von Angela Brandenburg, und 4 „Verkehr“, unter der Leitung von Hartwig Rolf vertreten, sowie die Gleichstellungsbeauftragte des Ministeriums, Dr. Andrea Feth.

Im Gespräch ging es u.a. um das im September vom Kabinett beschlossene Mobilitätsgesetz sowie die Mobilitätsstrategie 2023. Die Vertreter*innen des MIL betonten, dass sie sich mit dem Mobilitätsgesetz „einiges vorgenommen“ haben und bis 2023 eine massive Angebotsausweitung, insbesondere im Schienenpersonennahverkehr, erfolgen wird. Allgemein sollen zukünftig weniger die Streckenkilometer (quantitatives Kriterium), sondern die Erschließung der Passagiere (qualitatives Kriterium) in den Blick genommen werden. Es wird also gefragt, was zu tun ist, damit der Nahverkehr von mehr Personen genutzt werden kann. Beispielsweise bedarf es der Vermittlung von mehr Wissen über den Nahverkehr, Mobilitäts- und Ticketangebote, auch zum Abbau von bestehenden Vorurteilen und zur Senkung von Hürden beispielweise bei der Nutzung digitaler Informations-, Ticket- und Buchungsangebote.

Der Entwurf für das Mobilitätsgesetz wurde im Auftrag des Landtags unter der Federführung des MIL gemeinsam mit der Volksinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt!“ erarbeitet. Die Vertreter:innen der Volksinitiative, das Verkehrsministerium und die Spitzen der Regierungsfraktionen hatten Anfang Juli einen Kompromiss vorgestellt, der die Weichen für die langersehnte Verkehrswende stellen sollte. In dem Entwurf, der Anfang September vom Kabinett beschlossenen wurde, sind jedoch wichtige Punkte mit Haushaltsvorbehalt versehen oder komplett gestrichen worden. Vor diesem Hintergrund fordert das Bündnis „Verkehrswende Brandenburg Jetzt!“ die Rücknahme aller Streichungen und nahm im Verkehrsausschuss dazu Stellung. Die Streichungen betreffen dabei auch Maßnahmen, welche die Mobilität von Frauen deutlich verbessern könnten, wie eine Mobilitätsgarantie, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und den integralen Taktfahrplan.

Darüber hinaus bedarf es unserer Ansicht nach allgemein einer stärkeren Sensibilisierung in der Fläche zum Thema gendersensibler Mobilität, z.B. durch Handreichungen oder Checklisten für kommunale Planungen. Gender Mainstreaming als Strategie und Gender Budgeting als Instrument sollten konsequent umgesetzt werden. Zudem sollte die Methodik der Datenerhebung angepasst werden: In der Regel werden bei Statistiken nur die Hauptwege zwischen Arbeits- und Wohnort betrachtet – dies wird dem vielfältigen Mobilitätsverhalten von Frauen mit vielen kurzen Wegen nicht gerecht. In vielen Mobilitätsreports fehlt zudem die Erfassung der Mobilitätsmuster von trans oder nicht-binären Personen sowie die Erfassung weiterer Diskriminierungsebenen wie race. Durch intersektionale Datenerhebungen können wir die Mobilitätsbedürfnisse verschiedener Gruppen besser verstehen und langfristig durch eine entsprechende Mobilitätsplanung mehr Teilhabe ermöglichen. Außerdem braucht es differenzierte Beteiligungsstrategien, um es z.B. auch Alleinerziehenden zu ermöglichen, ihre Bedürfnisse einzubringen, die ohne Kinderbetreuung oder Mobilitätsmöglichkeiten nicht an abendlichen Informationsterminen teilnehmen können.

 

Die Gesprächspartner:innen kamen überein, dass der Austausch zu diesem Themenfeld zwischen dem Ministerium, den Verkehrsverbänden wie dem VCD Brandenburg und dem Frauenpolitischen Rat Land Brandenburg fortgesetzt und nach Möglichkeit mit geeigneten Veranstaltungen vertieft werden soll.

 

Foto von Paul Siewert auf Unsplash